“Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.”
Immerwährend neutral
Österreich hat sich im Jahr 1955 durch die Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes dazu verpflichtet, dass es seine Neutralität mit “allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen” wird.
Bundesgesetzblatt vom 4. November 1955: Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs, (Quelle: Wikipedia)
Nach dem Vorbild der Schweiz hat Österreich also den Status der permanenten und bewaffneten Neutralität angenommen. Im Jahr 1975 hat es die “umfassende Landesverteidigung” in Artikel 9a des Bundes-Verfassungsgesetzes verankert. Diese dient “insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität”.
Militärische Landesverteidigung
Die politische Umsetzung dieser Pflicht zur Landesverteidigung blieb jedoch stets halbherzig und zögerlich. Vor allem nach dem Ende des Ost-West Konflikts stagnierten die Ausgaben für die militärische Landesverteidigung (mit dem niedrigsten Stand von 0,7 % des BIP im Jahr 2015 - SIPRI Military Expenditure Database), wobei Österreich hier keine Ausnahme unter den europäischen Ländern war. Krieg und militärische Verteidigung schienen der Vergangenheit anzugehören. Während das Verteidigungsbudget schrumpfte, wurde das Anforderungsprofil an das Bundesheer erheblich ausgedehnt (Frank 2022).
In Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine sprachen sich alle politischen Parteien für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben Österreichs aus. Die Zielgröße ist nun 1,5 des BIP und die militärische Ausrüstung und Infrastruktur sollen durch einen Beschaffungsplan, den “Aufbauplan 2032+”, verbessert werden.
Angesichts dieser höheren Verteidigungsausgaben und der Verbesserungen militärische Ausrüstung und Infrastruktur stellt sich auch die Frage, wie es um die Bereitschaft der österreichischen Bevölkerung zur Verteidigung des Landes aussieht?
Die Wehrbereitschaft der Österreicher:innen
In der Forschung wird immer noch überwiegend die “willingness to fight” untersucht, also die Bereitschaft, das Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen (Simon u. a. 2024; Onderco, Wagner, und Sorg 2024). In unserer Studie verwenden wir jedoch das breitere Konzept einer “willingness to defend”, also einer Bereitschaft, einen Beitrag zur Verteidigung zu leisten. Dieser Beitrag kann von der Verteidigung mit der Waffe, über andere Beiträge zur militärischen Verteidigung (wie Versorgung von Verwundeten oder Arbeit an Verteidigungsanlage) und Beiträge zum Zivilschutz bis hin zum zivilen Widerstand gegen eine Besatzungsmacht reichen.
Zunächst haben wir gefragt, ob Österreich im Fall eines bewaffneten Angriffs Widerstand leisten soll. Die Hälfte der Befragten hat dies bejaht. Zum Vergleich: In Schweden lag dieser Wert lange Zeit stabil über 70 % (Ja absolut/ja vielleicht, siehe MSB (2020)). In Finland hat sich dieser Wert ebenfalls lange zeit im Bereich von 70 bis 80 bewegt, nahm ab 2012 ab und seit 2022 stark zu (siehe The Advisory Board for Defence Information 2024, p. 31).
Blickt man auf die individuelle Bereitschaft, einen Beitrag zur Verteidigung zu leisten, so zeigt sich, dass die Bereitschaft zur Verteidigung mit der Waffe eher gering ist (14 % der Befragten). Der Anteil der Person, die einen Beitrag mit der Waffe oder einen anderen militärischen Beitrag leisten würden, und der Personen, die zur zivilen Verteidigung oder zivilem Widerstand beitragen würden, hält sich ungefähr die Wage (33 % zu 38 %). 15 Prozent der Befragten würden keinen Beitrag zur Verteidigung leisten.
Besser einordnen lässt sich diese Ergebnis durch einen Blick auf andere Staaten, den uns der World Values Survey und der European Values Survey ermöglichen. Österreich reiht sich also in die Gruppe der Staaten ein, in denen die Bevölkerung nur eine geringe Bereitschaft zur Verteidigung mit der Waffe hat.
Dieser Befund einer geringen Wehrbereitschaft relativiert sich jedoch ein wenig, wenn man das Ergebnis nach Geschlechtern betrachtet. 22 % der männlichen Befragten wären demnach bereit, das Land mit der Waffe zu verteidigen. Bei den weiblichen Befragten sind es hingegen nur 6 %. Da die Wehrpflicht in Österreich bis dato nur männliche Staatsbürger betrifft, ist dieses Ergebnis zu erwarten.
Von den männlichen Befragten, die Wehrdienst geleistet haben, würden rund 29 % Österreich mit der Waffe verteidigen. Dieses Ergebnis geht in Richtung der Studie von Parmak und Tyfa (2022) in der Fachzeitschrift Armed Forces & Society, in der sie festgestellt haben, dass positive Erfahrungen mit dem Wehrdienst die Wehrbereitschaft erhöhen.
Es zeigt sich zudem auch, dass die politische Verortung auf der Links-Rechts Achse die Ausprägung der Verteidigungsbereitschaft beeinflusst. Personen, die sicb selbst als eher rechts verorten, weisen eine wesentlich höhere Bereitschaft zur Verteidigung mit der Waffe auf als Personen, die sich in der Mitte des politischen Spektrums oder links verorten. Personen links der Mitte tendieren hingegen eher zur zivilen Verteidigung und zivilem Widerstand.
Auch das Vertrauen in die Regierung beeinflusst die individuelle Wehrbereitschaft, wie auch andere Forschungsarbeiten zu diesem Thema gezeigt haben (Torgler 2003). Je größer das Vertrauen, desto höher die Bereitschaft zur Verteidigung mit der Waffe in der Hand.
Mit steigendem Alter nimmt die Bereitschaft zur Verteidigung mit der Waffe leicht zu, wobei sie bei Personen über 60 Jahren stark stagniert. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass diese Personen sich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr in der Lage sehen, einen unmittelbaren Beitrag zur militärischen Landesverteidigung zu leisten. Dafür spricht auch, dass diese Altersgruppe leicht höhere Werte bei den anderen Beiträgen zur Verteidigung aufweist.
Interessant ist, dass die Bereitschaft zur Verteidigung mit der Waffe auch mit steigendem Einkommen leicht zunimmt. Interessant deshalb, weil die These “post-heroischer Gesellschaften” [Munkler2007a] davon ausgeht, dass mit steigendem Wohlstand einer Gesellschaft, die Opferbereitschaft der Individuen sinkt Inglehart, Puranen, und Welzel (2015). Auffallend dabei ist jedoch auch der Umstand, dass Personen mit Einkommen unter EUR 750 eine höhere Wehrbereitschaft haben, während jene mit über EUR 4.500 tendentiell wieder weniger bereit sind, im Verteidigungsfall zur Waffe zu greifen.
Christopher J. Anderson, Anna Getmansky und Sivan Hirsch-Hoefler haben in ihrer Forschung gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Einkommensverteilung in der Bevölkerung und deren Wehrbereitschaft gibt: gibt es eine hohe Ungleichheit bei den Einkommen, ist die Wehrbereitschaft der Besserverdiener geringer ausprägt; ist die Ungleichheit der Einkommen niedrig, gibt es hingegen keine allzu großen Unterschiede in der Wehrbereitschaft zwischen Besser- und Niedrigverdienern.
Gini-Koeffizient Österreichs im Vergleich, (Quelle: Wikipedia)
Blickt man auf den Gini-Koeffizient als Maßzahl für die Einkommensverteilung, so ist Österreich ist ein Staat mit geringer Ungleichheit. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass sich über die Einkommen hinweg keine allzu großen Unterschiede in der Wehrbereitschaft zeigen.
Betrachtet man das Niveau der formalen Bildungs, verändert sich die Bereitschaft zur Verteidigung mit der Waffe mit höheren Bildungsniveau nicht. Die Bereitschaft zur zivilen Verteidigung und zivilem Widerstand nimmt aber zu. Dass der Anteil an “weiß nicht” Angaben in der Gruppe mit formal geringer Bildung höher ist, legt die Vermutung nahe, dass sicherheits- und verteidigungspolitische Themen diese Gruppe schwerer erreichen.
Weitere Infos
Wer noch mehr zu diesem Thema erfahren will, kann den Beitrag “Die Wehrhaftigkeit der österreichischen Gesellschaft und die militärische Landesverteidigung eines neutralen Staates” von Eder und Salinger (2024) in der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft lesen oder uns direkt kontaktieren.
Literatur
Bukkvoll, Tor, und Frank Brundtland Steder. 2023.
„War and the Willingness to Resist and Fight in Ukraine“.
Problems of post-communism online first: 1–14.
https://doi.org/10.1080/10758216.2023.2277767.
Eder, Franz, und Gregor Salinger. 2024.
„Die Wehrhaftigkeit der österreichischen Gesellschaft und die militärische Landesverteidigung eines neutralen Staates“.
Austrian Journal of Political Science (OeZP) 53 (Special Issue): 1–13.
https://doi.org/10.15203/4183.vol53.2024.
Frank, Johann. 2022.
„Das Österreichische Bundesheer“. In
Handbuch Außenpolitik Österreichs, herausgegeben von Martin Senn, Franz Eder, und Markus Kornprobst, 163–85. Wiesbaden: Springer VS.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37274-3_8.
Inglehart, Ronald F, Bi Puranen, und Christian Welzel. 2015.
„Declining willingness to fight for one’s country: The individual-level basis of the long peace“.
Journal of peace research 52 (4): 418–34.
https://doi.org/10.1177/0022343314565756.
MSB. 2020.
Opinioner 2020 : Om allmänhetens syn på samhällsskydd och beredskap juli och augusti 2020. Stockholm: Swedish Civil Contingencies Agency.
https://rib.msb.se/filer/pdf/29397.pdf.
Onderco, Michal, Wolfgang Wagner, und Alexander Sorg. 2024.
„Who are willing to fight for their country, and why?“ Clingendael Specator 28 March.
https://spectator.clingendael.org/en/publication/who-are-willing-fight-their-country-and-why.
Parmak, Merle, und David A. Tyfa. 2022.
„The Link Between Conscription Experience and Conscripts’ Attitude Toward National Military Service at the End of Training: An Example from Estonia“.
Armed Forces & Society 49 (3): 662–86.
https://doi.org/10.1177/0095327x221078883.
Simon, Christopher A., Nicholas P. Lovrich, Kenneth G. Verboncoeur, und Michael C. Moltz. 2024.
„Re-examining Willingness to Fight for One’s Country: Exploring Nature of Conflict and Citizenship Status Effects in the United States and Canada“.
Armed Forces & Society, 1–26.
https://doi.org/10.1177/0095327x241269905.
The Advisory Board for Defence Information. 2024. Finns‘opinions on foreign and security policy, national defence and security. Helsinki: Ministry of Defence.
Torgler, Benno. 2003.
„Why do people go to war?“ Defence and Peace Economics 14 (4): 261–80.
https://doi.org/10.1080/10242690302929.